#rp23-Sprecher Brett Scott: Cash, Karten, Krypto

01.02.2023 - Der Autor und ehemalige Broker Brett Scott spricht auf der re:publica 23 über die bargeldlose Gesellschaft – und warum davon unsere Freiheit bedroht ist.
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rp23-Speaker Brett Scott
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Craig Scott

Als Autor, Aktivist und ehemaliger Broker ist Brett Scott nicht nur ein Experte für Geldpolitik, sondern auch ein Verfechter alternativer Wirtschaftsmodelle und -bewegungen. Seit über einem Jahrzehnt erforscht er die Auswirkungen von Technologie auf die Geldwirtschaft. Im Jahr 2013 veröffentlichte Brett Scott mit „The Heretics Guide to Global Finance: Hacking the Future of Money“ sein erstes Buch. Darin gibt er Einblicke in das Finanzsystem und zeigt, wie Aktivist*innen die Dynamik des Sektors nutzen können, um ihn zu hacken.

Wie kam es zur Verschmelzung von Big Finance und Technologie – und wie sieht die Zukunft aus? Da sich viele Länder auf eine bargeldlose Gesellschaft zubewegen, ist es längst Zeit, über Vor- und Nachteile zu sprechen. Ist es wirklich eine gute Idee, Papiergeld und Münzen durch digitale Transaktionen zu ersetzen? Hält das System, was es verspricht – weniger Kriminalität und Geldwäsche, dafür mehr Vereinfachung - oder Bequemlichkeit? In seinem zweiten Buch „Cloudmoney: Cash, Cards, Crypto and the War for our Wallets“ untersucht  Brett Scott die Schattenseiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und deckt eine seit langem bestehende Lobby-Infrastruktur auf: Banken und Tech-Unternehmen drängen darauf, das Bargeld unter dem Banner des Fortschritts abzuschaffen.

Brett Scott ist Autor des Newsletters “Altered States of Monetary Consciousness”, für den ihr euch hier anmelden könnt.. 

Brett Scott auf Twitter: @Suitpossum 

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Lass uns über #CASH sprechen. Ein Interview mit Brett Scott.

Bargeld, Karten, Krypto - Worauf sollten wir vertrauen? 

Ich bin dafür bekannt, dass ich für Bargeld werbe, weil wir es brauchen, um das Gleichgewicht der Kräfte im Geldsystem zu erhalten. Stellt euch Bargeld als das "Fahrrad des Zahlungsverkehrs" vor, hingegen können die vom Bankensektor betriebenen digitalen App- und Kartensysteme als das "Uber des Zahlungsverkehrs" verstanden werden. Wenn wir  das Gleichgewicht der Verkehrsteilnehmer*innen erhalten wollen, muss sichergestellt sein, dass Fahrradwege (erhalten) bleiben und nicht Uber die Macht im Straßenverkehr übernimmt. Um ein Gleichgewicht der Kräfte im Geldsystem aufrechtzuerhalten, müssen wir in ähnlicher Weise das Bargeld schützen und sicherstellen, dass Big Finance und Big Tech nicht komplett die Macht übernehmen. Was Kryptowährungen angeht, so ist das ein kompliziertes Thema - viele frühe Krypto-Innovator*innen sahen sich selbst als Schöpfer*innen einer Art "digitalen Bargelds", das als Gegenpol zu Big Finance-Tech fungieren sollte, aber in Wirklichkeit sind die meisten Kryptowährungen nun eher selbst Handelsobjekte im Geldsystem, anstatt Geld mit eigenem Wert. Ich sage nicht, dass man mit Kryptowährungen nichts Nützliches machen kann, aber die Fixierung auf Krypto-Token lenkt oft davon ab.

Du bist für die Recherche zu deinem neuen Buch von London nach Berlin gezogen. Was macht Berlin zum perfekten Ort, um an deinem Thema zu arbeiten?

In Berlin ist der Widerstand gegen den unternehmerischen Kapitalismus ziemlich groß - und damit auch gegen die Übernahme durch "bargeldlose" Fintech-Systeme, die von Finanz- und Tech-Konzernen betrieben werden. In Berlin wird es immer noch als völlig normal angesehen, mit Bargeld zu bezahlen. Als ich noch in London lebte, habe ich mich hingegen kaum getraut, eine nicht automatisierte Form der öffentlichen Bezahlung zu fordern. Wenn man sich die Ausbreitung des automatisierten Konzernkapitalismus als eine Art soziales Virus vorstellt, dann hat London eine geringe Immunität, während Berlin immer noch eine recht hohe Immunität hat. Dennoch finden diejenigen, die die schleichende Gentrifizierung der Unternehmen vorantreiben, Schlupflöcher in Berlins Widerstandsfähigkeit und breiten sich aus, vor allem, wenn die internationale Mittelschicht mit ihren ApplePay-Apps in Scharen anrückt.

Was ist in der Finanzwelt deiner Meinung nach derzeit überbewertet oder missverstanden? 

Letztes Jahr wurde Krypto massiv überbewertet und stürzte dann vorhersehbar ab, aber ich verfolge aktuell nicht, was der neueste Hype ist. Ich vermute, dass es wahrscheinlich Investitionen in KI-Startups oder etwas Ähnliches sind. Die Finanzwelt ist berüchtigt dafür, dass sie voller kluger Köpfe ist, die immer und immer wieder wirklich dumme Dinge tun. Ohne Ende.

Auf welche neuen Entwicklungen oder Trends aus deinem Bereich sollten wir achten?

Es gibt neue Dinge in der Welt des Geldes - wie CBDCs und Stablecoins -, aber ich denke, es ist weniger sinnvoll, sich auf das Neue zu konzentrieren, als sich mit dem Alten auseinanderzusetzen. Es gibt Hunderte von Futurist*innen, die ihre Meinung zum neuesten monetären Schlagwort äußern, die aber gleichzeitig nicht in der Lage sind, die grundlegendsten Dinge über Geld zu beschreiben. Vergesst  also die gängigen Schlagworte und lest lieber etwas über Anthropologie und die vorkapitalistische Ökonomie des Schenkens, informelle Reziprozitätssysteme oder chartalistische Theorien über Geld.

Über welche Themen wirst du mit uns auf der #rp23 diskutieren?

Ich würde gerne über alles diskutieren, was mit der Politik und Anthropologie und der verschiedenen Aspekte von Geld  in unserer Gesellschaft zu tun hat, und den ganzen Quatsch, der die öffentliche Debatte über Bargeld, Digitalisierung und Kryptowährungen füllt, durchdringen. Wir stecken oft zwischen banalen Mainstream-Auffassungen über Geld und verschrobenen Verschwörungsvorstellungen fest, und wir müssen diese beiden Pole unbedingt überwinden. Aber ich bin generell offen für Diskussionen über alles, was die Community interessiert.

Passend zu unserem Motto #CASH, was sind deine aktuellen Empfehlungen für Bücher, Artikel, Podcasts oder Filme/Videos?

Nun, wenn ihr mehr von mir sehen möchtet, schaut hier vorbei:  brettscott.substack.com. Zu den Podcasts, die ich in letzter Zeit gerne höre, gehören “The Blockchain Socialist” (für eine progressivere Sichtweise auf Krypto), “It's Not Just in Your Head” (der sich mit der Überschneidung von psychischer Gesundheit und Kapitalismus beschäftigt) und “Odd Lots” (ein großer Bloomberg-Podcast, der eher Mainstream ist, aber wirklich großartig).

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„Cloudmoney – Cash, Cards, Crypto and the War for our Wallets“, Brett Scott, Mai 2022, Verlag Bodley Head, 304 Seiten, ISBN: 9781847925879. Publikationen als Hardback, E-Book und Audio-Download.

In der deutschen Übersetzung, „Cloudmoney – Cash, Karte oder Krypto: Warum die Abschaffung des Bargelds unsere Freiheit gefährdet“, wurde das Buch in der Übersetzung von Thorsten Schmidt im September 2022 publiziert. Hardcover, Pappband, 352 Seiten. ISBN: 978-3-328-60127-2.