#rp23 Keynote-Sprecher Sebastian Gießmann: Über die Zukunft des digitalen Bezahlens.

17.04.2023 - Wie wir in Zukunft tauschen und bezahlen, ist höchst politisch. Deshalb sollten wir über die digitale Transformation des Geldes sprechen!
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Sebastian Gießmann in Lederjacke vor einem braunen Hintergrund
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CC-BY-SA

Sebastian Gießmann, geboren 1976, forscht als Kultur- und Medienwissenschaftler an der Universität Siegen. 2023 ist er Gastprofessor für Kulturtechniken und Wissensgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen u.a. auf der Medien- und Sozialtheorie des Geldes. Als digitaler Bürgerrechtler interveniert er in laufende gesellschaftliche Diskussionen – zum Beispiel beim Thema digitales Bezahlen. Er versteht sich als Feminist und setzt sich als Vater zweier Töchter aktiv für die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft ein. Für seine Forschung wurde er im Oktober 2017 mit dem Zukunftspreis des Forschungskollegs der Universität Siegen ausgezeichnet.

2016 publizierte er Die Verbundenheit der Dinge: Eine Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke. Sein nächstes Projekt trägt den Titel Das Kreditkarten-Buch: Geschichte und Theorie des digitalen Bezahlens. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig auf seinem Blog netzeundnetzwerke.de.

Auf der #rp23 freuen wir uns auf Sebastians spannenden Input und inspirierende Diskussionen zum (digitalen) Bezahlsystem der Zukunft. 

 

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Lass uns über #CASH sprechen. Ein Interview mit Sebastian Gießmann.

Es gibt derzeit einiges rund um das Thema „CASH“ zu diskutieren: Der FTX-Skandal, die Pleite der Silicon Valley Bank, die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS, der plötzliche Kurssturz der Deutschen Bank-Aktie sowie die zunehmende Inflation. Wie hast du die vergangenen Monate erlebt?

Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, bei dem die nächste große Finanzkrise jederzeit möglich erscheint. Kombiniert mit der post-pandemischen Welt, Inflation, Krieg und geopolitischen Konflikten erscheint die große Transformation des Geldes beinahe nebensächlich. Fast alles Geld ist zu virtuellem Datengeld geworden, was dann wiederum den schnellen run auf die Silicon Valley Bank möglich gemacht hat. Die systemische Instabilität unseres Finanzsystems hat sich noch einmal deutlich erhöht. Aber selbst die Hausbank des Silicon Valley hat die makroökonomischen Veränderungen unterschätzt, und Big Tech schwankt zwischen KI-Enthusiasmus und Massenentlassungen.

Was schließt du daraus für dein Forschungsfeld?

Als Medienhistoriker interessiert mich, was sich nicht oder nur wenig geändert hat. Um unseren kapitalistisch geprägten Alltag weiterhin zu organisieren, müssen wir alle Geld verdienen, trotz der Inflation ausgeben, konsumieren… Geld bleibt dafür das wichtigste Kooperationsmedium. Wie wir Werte tauschen und bezahlen, ist eine politische Angelegenheit: Jede Transaktion zählt.

Eine These von dir ist: Wenn es ums Geld geht, fehlt es in Deutschland an sozialer Fantasie, Innovations- oder gar Risikobereitschaft. Warum ist das so? 

Es gibt diese deutsche Sehnsucht nach Stabilität. Wenn Innovation stattfindet, dann meist Schritt für Schritt. Um das kontaktlose Bezahlen sozial akzeptabel zu machen, brauchte es erst eine Pandemie. Im Moment überlagern sich aber mehr Krisen, als eine Gesellschaft gleichzeitig bewältigen kann. Die Frage ist, warum ausgerechnet jetzt der Zeitpunkt wäre, um etwas an der Form des Geldes und am Zahlungsverkehr zu ändern? Wenn wir es nicht auf europäischer Ebene tun, werden es diejenigen machen, die im Bereich des Datengeldes jetzt schon die technische Expertise und ökonomische Macht haben. 

Wie lässt sich das ändern, und was braucht es dafür?

Ich würde sagen: Mehr Interventionen und Experimente wagen! Ein großartiges Beispiel ist das MoneyLab-Netzwerk. Dazu gehört, nicht nur auf die wichtigen, großen Institutionen des Geldes zu schauen – sondern auch künstlerisch, technisch und sozial auszuprobieren, was mit neuen Geldern möglich ist. Seit dem merge von Ethereum haben wir endlich eine ökologisch akzeptable Infrastruktur dafür. Diesen Teil eines progressiven Web3 halte ich für sehr wichtig. Das klassische Bargeld brauchen wir weiterhin – aber gerne mit einem Update, neuer Gestaltung und öffentlicher Wertschätzung.

Mit Blick auf deine Keynote auf der re:publica 23: Kannst du uns verraten, wie deine Idee eines digitalen Euros aussieht?

Das müssen wir politisch und ökonomisch aushandeln! Ich wünsche mir dafür eine wache europäische, zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit. Und den Mut, ein digitales Zentralbankgeld nicht als unliebsames Hirngespinst zu behandeln. Wenn Brasilien das mit Pix kann, warum nicht auch Europa? Entscheidend ist: Wir dürfen privatwirtschaftliches tracking nicht durch staatliche Überwachung ersetzen. Die positiven Eigenschaften des klassischen Bargelds müssen infrastrukturell neu erfunden werden: pseudonyme Nutzung in allen Lebenssituationen, ein Grundvertrauen des Staats in die alltäglichen ökonomischen Praktiken seiner Bürger*innen… Und wir müssen die Elefanten im Raum politisch im Zaum halten: Geschäftsbanken, Anbieter von Payment-Lösungen und Big Tech sind keine natürlichen Freunde von digitalen Zentralbankgeldern. 

Und im Sinne unseres Mottos „CASH“ – was sind deine aktuellen Lese-/ Podcast- oder Videoempfehlungen?

Zunächst einmal für den richtigen Groove ein Klassiker: Das beste Lied über die amerikanische Kreditkarte und die sozialen Folgen des digitalen Bezahlens ist Albert Collins Master Charge, z.B. in dieser Liveaufnahme aus der Carnegie Hall. Zum Lesen empfehle ich Lana Swartz’ New Money: How Money Became Social Media, Brett Scotts Cloudmoney und Tracers in the Dark: The Global Hunt for the Crimelords of Cryptocurrency von Andy Greenberg. Für die nicht-westliche Perspektive Artikel zu Fintech in Africa und einen wachen Blick auf die aktuelle Entwicklung von Pix in Brasilien. Außerdem nehme ich mit Markus Beckedahl aktuell einen netzpolitik-Podcast auf – inklusive eines Ausflugs in die Geschichte der Bezahlsysteme.